Für viele Menschen wird nachhaltiger Konsum immer wichtiger. In den Supermärkten und Discountern gibt es deshalb bereits eine große Auswahl an Bio- und Fair-Trade-Produkten. Doch was viele Verbraucher nicht wissen: der Verkaufspreis der Lebensmittel unterscheidet sich deutlich von dem Preis, der gezahlt werden müsste, wenn Folgekosten für Umweltschäden und CO2-Emissionen eingerechnet würden. Für die Sendung „Umwelt und Verbraucher“ im Deutschlandfunk habe ich darüber mit dem Tobias Gaugler von der Universität Augsburg gesprochen. Sein Team hat solche diese Preise für eine Reihe von Lebensmitteln berechnet. (Gesendet am 1. September 2020.)
Stefan Römermann: Welche Kosten haben denn bisher auf den Preisschildern gefehlt?
Tobias Gaugler: Insbesondere Umwelt-Folgekosten, die aus der Produktion von Lebensmitteln entstehen, sind in den aktuellen Preisen nicht sichtbar, fallen hinten runter und müssen von anderen Marktteilnehmern oder auch künftigen Generationen getragen werden.
„Die Preise sind nur die halbe Wahrheit“
Römermann: Jetzt beklagen sich schon seit Jahren die Milchbauern, dass die Preise für Milch und Butter in den Supermärkten zu billig sind und sie von den bezahlten Cent-Beträgen pro Liter nicht kostendeckend produzieren können. Haben solche Faktoren bei Ihren Berechnungen auch eine Rolle gespielt? Oder haben Sie sich tatsächlich auf die Umweltkosten an der Stelle konzentriert?
Gaugler: Wir haben in unserer Studie keine sozialen Kosten oder vielleicht auch Unausgewogenheiten des Marktes betrachtet. Hierzu müssten beispielsweise auch die Subventionen mit einbezogen werden. Wir haben uns lediglich auf Umwelt-Folgekosten fokussiert und allein damit schon deutliche Marktunvollkommenheiten herausarbeiten können. Das heißt: Die Preise, so wie sie aktuell ausgezeichnet sind oder auch vom Verbraucher zu bezahlen sind, sprechen, sagen wir mal, nur die halbe Wahrheit.
Römermann: Dann machen wir es ganz praktisch. Wie teuer müsste denn ein Kilo Obst oder vielleicht auch ein Kilo Fleisch sein, damit der Preis realistisch ist?
Gaugler: Ja, wir haben verschiedene Lebensmittelkategorien untersucht und dabei festgestellt, dass es durchaus Unterschiede gibt bei der Höhe der Fehlbepreisung. Insbesondere Lebensmittel tierischer Herkunft, Hackfleisch beispielsweise müsste deutlich teurer werden. Hier sprechen wir von einer knappen Verdreifachung des Verkaufspreises für gemischtes Fleisch, wenn es sich um konventionelles Fleisch handelt. An anderer Stelle bei Produkten, die sich auf rein pflanzliche Lebensmittel beziehen, Äpfel, Bananen, Kartoffeln beispielsweise, sind auch Preisaufschläge zu beobachten, die nötig wären, um die Folgekosten in den Preis einzubeziehen. Diese sind deutlich geringer und belaufen sich auf etwa 10 bis knapp 20 Prozent.
Nehmen wir als Beispiel ein Rinderhack-Kilo beziehungsweise eine Portionsschale, 250 Gramm. Die würde aktuell, nehmen wir mal an, 2,25 Euro kosten. Und die müsste dann mit versteckten Zusatzkosten versehen werden oder um die erhöht werden, auf dass man dann mit 2,90 Euro versteckten Zusatzkosten auf ein Preisniveau von 5,15 Euro bei dem Viertel Kilo landet.
„Preise unterliegen einer großen groben Marktverzerrung“
Römermann: Wie genau lässt sich so was tatsächlich berechnen? Ist das wirklich eine exakte Wissenschaft, oder ist das schon ein sehr grober Näherungswert?
Gaugler: Ich würde sagen, sowohl als auch. Es ist ein grober Näherungswert oder vielmehr eine Untergrenze und gleichzeitig Wissenschaft. Das heißt, aktuell besteht das Problem darin, dass die Preise, so wie sie aktuell ausgezeichnet sind und auch bezahlt werden müssen, einer großen groben Marktverzerrung unterliegen. Das heißt, die aktuellen Preise, um das sehr verkürzt zu sagen, lügen, mal mehr, mal weniger, und Ziel aus unserer Perspektive ist es, wissenschaftlich dazu beizutragen, diesen Marktfehler, dieses teilweise Marktversagen zumindest zu reduzieren. So haben wir einige Faktoren, wie beschrieben, identifizieren können, die auch betrachtet werden und in die Preise mit einbezogen werden müssten, insbesondere seitens der Wirtschaftspolitik. Das sind keine exakten Werte, insbesondere, weil andere Kosten oder auch Treiber fehlen und in unseren aktuellen Untersuchungen unberücksichtigt worden sind. Und außerdem gibt es noch Unschärfen, auf die Sie vielleicht auch ansprechen, weil diese Schattenpreise, die externen Kosten, diese Umweltfolgen, ja keinen richtigen Markt und damit auch keinen richtigen Marktpreis haben, sondern man muss sich dort an Berechnungen orientieren, die auch andere Wissenschaftler gemacht haben, die beispielsweise in der Methodenkonvention des Umweltbundesamtes vertafelt sind, wo man sehen kann, na ja, gut, was ist dann der Preis oder was sind die Schäden, die sich aus einer beispielsweise emittierten Tonne CO2 äquivalent ergeben.
„Aktuelle Folgekosten entstehen aktuell an anderer Stelle“
Römermann: Wer zahlt denn bisher diese versteckten Kosten? Sind wir das alle selber durch Steuergelder, oder sind das die zukünftigen Generationen?
Gaugler: Die Umwelt-Folgekosten, die wir berechnet haben, werden aktuell auch schon getragen, jedoch von anderen Teilnehmerinnen und Marktteilnehmern global, beispielsweise durch Biodiversitätsverluste, beispielsweise auch durch gesundheitliche Beeinträchtigungen, beispielsweise durch die Rechnung für das Trinkwasser. All diese Bereiche sind tangiert von Umweltfolgen, Umwelt-Folgekosten oder auch Steuern, die beispielsweise für Fehlernten, Missernten dann verwendet werden, um Soforthilfen auszugeben oder vielleicht auch das zumindest befürchtete Vertragsverletzungsverfahren der EU. Bei all diesen Punkten bezüglich Düngung sieht man, dass Folgen auftreten, aber an anderer Stelle getragen und kompensiert werden müssen als vom eigentlichen Verursacher, in dem Fall dem Konsumenten von Lebensmitteln.
Römermann: Fänden Sie es denn gut, wenn solche real kalkulierten Preise auch tatsächlich an der Supermarktkasse kassiert würden? Oder soll das alles eher nur das Bewusstsein bei Verbrauchern schärfen, dass da im Konsum auch Folgekosten sind?
Gaugler: Die aktuellen Folgekosten entstehen ja, aktuell wie gesagt an anderer Stelle, aber sie entstehen und von daher macht es Sinn, sie auch auszuzeichnen und am langen Ende auch zu bezahlen, und zwar an der richtigen Stelle. Jedoch müssten solche Maßnahmen auch ordnungspolitisch flankiert sein, um beispielsweise Landwirte zu animieren, ökologisch vorteilhafter zu produzieren, oder auch soziale Schieflagen zu kompensieren, die entstehen würden, wenn man Lebensmittel teurer machen würde und damit insbesondere Menschen, die finanziell schwächer dastehen, überproportional geschadet werden würde.