Streitgespräch: Sollte personalisierte Werbung verboten werden?

Ist Internet-Werbung eine Gefahr für die Gesellschaft? Tatsache ist: Die großen Anbieter von Internet-Werbung wissen extrem viel über uns Internet-Nutzer. Denn sie überwachen auf vielen Webseiten praktisch jeden Mausklick – und bilden daraus gezielt Persönlichkeitsprofile um Werbeanzeigen gezielt zuzuschneiden. Markus Beckedahl, Gründer und Chefredakteur von netzpolitik.org, hält das für eine unkalkulierbare Gefahr. Er fordert ein Verbot von personalisierter Werbung. Achim Schlosser von der European netID Foundation hält dagegen. Ein Streitgespräch für den Deutschlandfunk, gesendet am 19. Februar 2022 in der Sendung “Streitkultur“.

Die Internet-Nutzer bekommen von der Rund-um-Überwachung im Internet meist kaum etwas mit. Sie geschieht schließlich in Sekundenbruchteilen: Schon beim Aufruf einer Internet-Seite speichern die Werbefirmen im Hintergrund gleich eine ganze Reihe von kleinen Dateien auf dem Computer ab: die berühmt-berüchtigten Internet-Cookies. Mit ihnen können die Werbefirmen uns Internet-Nutzern beim Surfen ganz unauffällig über die Schulter schauen – und unser Online-Verhalten auswerten.

Mit den gesammelten Informationen wird die Internet-Werbung dann personalisiert. Immer genauer werden die Werbeanzeigen auf jeden einzelnen Nutzern zugeschnitten: Auf unsere Interessen, unsere Hobbys – aber auch auf unsere Ängste und heimlichen Wünsche oder Schwächen. Denn tatsächlich kennen uns die großen Werbefirmen in manchen Punkten längst besser als wir uns selbst.

Beckedahl: “Ohne personalisierte Werbung wäre unsere Welt eine bessere”

Viele Datenschützer fordern deshalb strengere Regeln und schärfere Auflagen für die Anbieter von Internet-Werbung. Und manche sogar ein komplettes Verbot der Datensammlung und Personalisierung von Werbung. In der “Streitkultur” erklärte Markus Beckedahl, Chefredakteur von netzpolitik.org, warum das auch aus seiner Sicht die richtige Entscheidung wäre:

“Ganz klar: Der digitale Werbemarkt ist vollkommen außer Kontrolle geraten. Niemand hat mehr den Überblick, wo welche Daten von uns wozu gespeichert werden. Und inwieweit sie zusammen mit den Daten anderer Menschen ausgewertet werden, um Prognosen zu erstellen über unser Verhalten. Das System der personalisierten Werbung ist das Kernproblem vieler gesellschaftlicher Herausforderungen, die wir mit der Digitalisierung verbinden: Seien es Desinformationen, Hass und Hetze. Denn das überwachungskapitalistische Geschäftsmodell besteht darin, und zu möglichst vielen Interaktionen zu verleiten und unsere Aufmerksamkeit zu binden. Wir sollen möglichst viele Daten abgeben. Diese werden zu Profilen zusammengeführt – um uns zielgruppenkompatible Werbung auszuspielen. Ich finde die gesellschaftlichen Nachteile überwiegen die Vorteile ganz klar. Und unsere Welt wäre eine bessere, wenn wir personalisierte Werbung verbieten würden.”

Markus Beckedahl, netzpolitik.org

Schlosser: “Pauschale Verbote nicht zielführend”

Achim Schlosser von der European netID Foundation warnte dagegen vor einem Verbot. Viele Betreiber von Webseiten seien auf die Einnahmen von Werbung angewiesen. Und die seien deutlich höher, wenn die Werbung personalisiert werden kann:

“Ein pauschales Verbot von personalisierter Werbung, egal Art und Weise ist nicht zielführend. Und zwar aus mehreren Gründen: Wir haben ja in Deutschland und in der EU bereits sehr weitgehende Gesetze zum Schutz von Datenschutz und Privatsphäre. Ich glaube diese sollten wir jetzt erstmal durchgehend anwenden und abschließend auslegen. Das findet ja auch gerade in den letzten Monaten auch sehr intensiv statt. Ein pauschales Verbot bedeutet letztlich auch einen pauschalen Eingriff ins Wirtschaftssystem und auch in die Möglichkeit eines Nutzers, überhaupt noch eine Entscheidung zu treffen. Weil er dann keine Entscheidung mehr treffen darf. Werbung spielt eine wesentliche Rolle im Finanzierungsmodell von digitalen Angeboten. Und zwar nicht nur bei den großen Plattformen, sondern auch bei der Zeitung von nebenan. Wenn man hier eingreifen will, sollte man das spezifisch tun und die Datenschutzgesetze entsprechend nachschärfen, wenn sich da Tatbestände herausstellen.”

Achim Schlosser, European NetID Foundation