Eins ist klar: Wenn wir den Klimawandel noch auf ein irgendwie beherrschbares Maß begrenzen wollen, müssen wir unsere CO2-Emissionen reduzieren. Trotzdem werden in Deutschland gerade ausgerechnet vergleichsweise klimafreundliche weil CO2-arme Kernkraftwerke abgeschaltet. Viele Kohlekraftwerke dürfen dagegen noch jahrelang weiter CO2 in die Atmosphäre pusten. Für die Sendung „Streitkultur“ im Deutschlandfunk habe ich deshalb gefragt: „Atomkraft – ja bitte: Brauchen wir Kernenergie im Kampf gegen den Klimawandel?“ – gesendet am 13. März 2021. Sehr engagiert und leidenschaftlich gestritten haben zu diesem Thema: die Historikerin Veronika Wendland vom Pro-Kernkraft-Verein Nuklearia e.V. und Hans-Josef Fell, ehemaliger MdB und Präsident der Energy Watch Group.
Nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima vor 10 Jahren ging es in Deutschland plötzlich sehr schnell: Eine Handvoll älterer Atomreaktoren wurde kurzerhand vom Netz genommen. Und die erst ein paar Monate vorher beschlossene Verlängerung der Restlaufzeiten für die übrigen Kernkraftwerke wurde wieder zurückgenommen. Bis Ende 2022 sollen die letzten deutschen Atomkraftwerke vom Netz gehen. Doch ist das wirklich eine gute Idee? Oder verlieren wir damit ein wichtiges Mittel im Kampf gegen den Klimawandel? Schließlich stockt der Ausbau der Erneuerbaren Energien in Deutschland.
Weltweit jedenfalls setzen viele Länder weiter auf die die Kernenergie als Baustein in Ihrer Klimaschutz-Strategie. Sie verlängern die Laufzeiten ihrer bestehenden Reaktoren – oder bauen und planen sogar Kraftwerksblöcke. Auch Microsoft-Gründer Bill Gates wirbt mit seinem neuen Buch gerade massiv für Atomkraftwerke um die weltweiten CO2-Emmissionen zu drücken. Kritiker warnen dagegen von immensen Gefahren durch einen Super-GAU, die immer noch ungelöste Endlager-Frage und die enormen Kosten der Kernenergie.
„Wer sich fragt, wie man eine Energieversorgung schnell CO2-neutral machen kann, sollte über unsere Grenzen schauen: Frankreich oder Schweden erreichen mit einer Kombination aus Kernenergie und Erneuerbaren schon heute die deutschen Klimaziele von morgen. Atomstrom hat ungefähr dieselbe CO2-Bilanz wie Windkraft. Er ist nicht abhängig von Tageszeit oder Wetter, braucht also keine Stromspeicher oder riesige Überkapazitäten um zuverlässig zu liefern. Dennoch steigen wir derzeit im Eiltempo aus der Atomkraft aus, während wir uns mit mit dem Kohleausstieg quälend lange Zeit lassen. Ich plädiere dafür es umgekehrt zu machen: Den Atomausstieg auszusetzen – und dafür rasch aus der Kohle auszusteigen. Allein die sechs verbliebenen deutschen Kernkraftwerke könnten die gesamte Braunkohle Nordrhein-Westfalens überflüssig machen.“
Veronika Wendland, Nuklearia e.V.
„Wer Atomenergie als Beitrag für den Klimaschutz befürwortet, blendet alle Probleme der Atomenergie aus. Vor allem übersieht er die Dynamik des Ausbaus der erneuerbaren Energien, die verlässlich, versorgungssicher und wesentlich billiger Energie erzeugen können. Wir brauchen die Atomenergie nicht. Die Entsorgung des Atommülls ist nach wie vor ungelöst. Wir haben heute weltweit kein einziges Endlager für hochradioaktiven Atommüll, auch nicht in Finnland oder Schweden. Der Uranbergbau ist überall in der Welt mit massiven Menschenrechtsverletzungen, mit Vertreibungen, mit radioaktiven Verseuchungen, mit Giftmüll-Seen verbunden. Die Gefahren eines Super-GAUs sind auch in Deutschland allgegenwärtig. Denn kein Atomkraftwerk ist gegen einen Terrorangriff eines entführten Verkehrsflugzeugs völlig abgesichert. Und auch die hohen Kosten des Atomstroms werden immer wieder ausgeblendet. In diesem Jahr werden in den USA sechs Atomkraftwerke abgeschaltet, weil der Ersatz durch Solar- und Windkraftwerke und Batterien billiger und verlässlicher den Strom erzeugt. Wir brauchen die Atomkraft nicht. Weder für den Klimaschutz noch zur Energieversorgung. Sie ist ein riesiges Problem, dass wir endlich abschalten müssen.“
Hans-Josef Fell, Energy Watch Group