Wieder mal Eklat bei der VG Wort

Abstimmungskarten für die Marathon-Sitzung bei der VG Wort in München. Foto: SR

Und plötzlich war die Stimmung im Eimer. Den ganzen Tag wurde heute bei der Mitgliederversammlung VG Wort in München mehr oder weniger sachlich zusammen gearbeitet. Klar, es gab auch die üblichen Verdächtigen, die dem Vorstand dann auch schon mal im Nebensatz Straftaten wie Untreue unterstellt haben. Doch verglichen mit den vergangenen zwei Mitgliederversammlungen war die Atmosphäre fast schon konstruktiv. Schließlich gab es auch viel zu tun: Die Verwertungsgesellschaft braucht dringend klare Regeln, wie die zu Unrecht an Presse- und Buchverlage ausgezahlten rund 100 Millionen Euro zurückgefordert werden sollen – und wie das Geld anschließend neu verteilt werden kann.

Knapp sechs Stunden lang wurde Antrag für Antrag, Beschlussvorlage für Beschlussvorlage, Ziffer für Ziffer abgearbeitet. Manche Streitthemen wurden an die zuständigen Ausschüsse verwiesen. Manche wurden auch mit einer einfachen Ergänzung der Vorstandsvorlagen aus der Welt geschafft. Zum Schluss stand nur noch ein einziges, relativ trockenes Thema auf der Tagesordnung: Der so genannte Verteilungsplan musste überarbeitet werden, also quasi die Rechtsgrundlage, nach der die VG Wort Jahr für Jahr Millionen Euro beispielsweise an Journalisten und Buchautoren verteilt. Denn seit Mitte des Jahres gelten für Verwertungsgesellschaften wie die GEMA oder eben auch die VG Wort neue gesetzliche Vorgaben. Spätestens bis zum 31.12.2016 muss deshalb der aktuelle Verteilungsplan angepasst werden. Das ist nun grandios gescheitert.

Im Versammlungsraum waren zum Zeitpunkt der Abstimmung schon auffällig viele Plätze leer. Den verbliebenen Teilnehmern stand die Erschöpfung ins Gesicht geschrieben, als das letzte Mal die Wahlurnen durch Reihen getragen wurden. Kurze Zeit später der Schock bei der VG-Wort-Spitze: In der Berufsgruppe 2, also bei den „Journalisten, Autoren und Übersetzern von Sachliteratur“ gab es zwar eine Mehrheit für den neuen Verteilungsplan – aber nicht die nötige 2/3-Mehrheit.

Was das konkret juristisch bedeutet, konnte nach der Versammlung niemand genau erklären. Fakt ist: Ab Januar hat die VG Wort dann keinen gültigen Verteilungsplan mehr. Der alte verstößt gegen die verbindlichen Vorgaben im neuen Verwertungsgesellschaftengesetz. Und bis ein neuer, gesetzeskonformer Plan beschlossen ist, darf die VG Wort deshalb vermutlich keine Gelder auszahlen.

Das scheinbar Paradoxe dabei: Die Änderungen selbst sind quasi nur eine Formsache, die einzelnen Änderungsvorschläge überhaupt nicht umstritten. Doch den Kritikern gingen die Änderungen nicht weit genug. Denn der Plan wurde nicht komplett überarbeitet sondern es wurde – freundlich gesagt – nur das Nötigste gemacht. Im Text finden sich weiter die altbekannten Regeln, nach denen die Verlage in der Regel 30 bis 50 Prozent der Ausschüttungen bekommen, obwohl genau diese „Verlegerbeteiligung“ ja im April vom Bundesgerichtshof verboten wurde. Lediglich mit einer detaillierten „Vorbemerkung“ im Beschlusstext sollten die entsprechenden Regeln ausgesetzt werden. Juristisch mag das völlig korrekt sein und faktisch das gleiche bedeuten, wie eine komplette Streichung der entsprechenden Passagen.

Auf die Kritiker wie Benno Stieber, Vorstand des Journalistenverbands „Freischreiber“ wirkte es dagegen wie ein Affront: Der Beweis, dass die VG Wort sich weiter nicht den geänderten Regel beugen will und mittelfristig auch Verlage wieder an den Ausschüttungen beteiligen möchte. Vor allem die Gruppe um die „Freischreiber“ hatte deshalb gegen den Plan gestimmt.

Das Ganze war laut Stieber aber vor allem auch ein politisches Signal Richtung Berlin: Schließlich wird dort gerade an einem neuen Urhebervertragsrecht gebastelt. Und die Verleger machen mächtig Druck, um per Gesetzesänderung nachträglich nun doch wieder an den Ausschüttungen der VG Wort beteiligt zu werden. Sprich: Sie wollen zurück zum Status vor dem BGH-Urteil – nur besser abgesichert, auf neuer gesetzlicher Grundlage.

Trotzdem wäre es falsch, hier den „Freischreibern“ wieder einmal die Schuld am aktuellen Schlamassel zu geben, wie es nach der gescheiterten, letzten Mitgliederversammlung im September im Hofbräukeller passiert ist. Die Vorlagen des VG-Wort-Vorstands waren damals wie heute zwar vielleicht gut gemeint, aber nicht in allen Punkten tatsächlich auch gut gemacht. Im September waren viele Formulierungen mit heißer Nadel genäht und juristisch durchaus fragwürdig. Nicht zuletzt auf die Kritik der „Freischreiber“ wurden die Vorschläge deshalb nachgebessert und viele Formulierungen aus ihren Anträgen übernommen. Und dieses Mal war der Verteilungsplan zumindest “politisch” kein gutes Signal zur Versöhnung.

Trotzdem wäre auch diese Vorlage  vermutlich genauso verabschiedet worden wie die anderen Punkte auf der Tagesordnung, wenn nicht ein großer Teil der Mitglieder vorzeitig abgereist wäre. Sogar viele Mitglieder die als Stellvertreter gleichzeitig für bis zu 2 weitere Mitglieder abstimmen durften – und durch ihr Abreisen eine größere Lücke gerissen haben, als ihnen vielleicht bewusst war. Diese Mitglieder tragen am Abstimmungs-Desaster eigentlich die größere Schuld als die manchmal vielleicht etwas zu sehr auf Konfrontation eingestellten Freischreiber. Aber auch der Vorstand sollte ernsthaft nach Alternativen zu solchen Marathon-Sitzungen suchen. Ansonsten droht bei der nächsten Sitzung am 18. März vermutlich die nächste Schlappe.

[Hinweis zur Transparenz: Ich bin selbst Mitglied in der VG-Wort und habe den Vorlagen des Vorstands trotz vereinzelter Kritik im Detail zugestimmt.]

… hier übrigens noch der Mitschnitt meiner ersten Einschätzung kurz nach der Sitzung für die Sendung “Markt und Medien”, heute 17.05 Uhr im Deutschlandfunk:

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