Sterben auf Raten: Das langsame Ende der Mittelwelle

Kaum noch Sender auf der Mittelwelle. Foto: SR

Eine Ära im deutschen Rundfunk neigt sich dem Ende entgegen: Mit der Mittelwelle hat in Deutschland der Rundfunk angefangen. Jetzt sind ihre Tage gezählt: In der Nacht zum Dienstag hat der Mitteldeutsche Rundfunk seine letzten drei Mittelwelle-Sender komplett abgeschaltet –weitere ARD-Anstalten folgen bald: Denn bis spätestens 2014 sollen alle ARD-Anstalten und das DeutschlandRadio die Mittelwelle- und Langwelle-Ausstrahlung beenden. Das fordert die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten KEF, die über die Höhe und Verwendung der Gelder aus dem Rundfunkbeitrag wacht. Oder gibt es doch noch ein Happy-End für die Mittelwelle? Denn auch diese Sender lassen sich mit Digitaltechnik fit für die Zukunft machen. Ein Beitrag für das WDR 5 Medienmagazin “Töne, Texte, Bilder”, gesendet am 4. Mai 2013.

Man muss sich durch etwas Gestrüpp kämpfen, wenn man den alten, denkmalgeschützen Mittelwelle-Sender Leipzig-Wiederau sehen möchte. Im einem eher unscheinbaren Backsteingebäude steht er dann.

“Das ist der Sender von 1939. Das war dann der zweite Sender, der dann hier aufgebaut wurde. Der besteht eben aus diesem Steuerpult, was man hier schön sieht – wo man auch alles einzeln per Knopfdruck einschalten kann.”

… und natürlich aus dem eigentlichen Mittelwelle-Sender: Einem seltsam, altmodischen Gebilde mit großen Glas-Elektronenröhren und noch größeren Metallspulen. Insgesamt ist der Sender vielleicht so groß wie ein LKW-Container. Das riesige Kühlsystem im Keller nicht mitgerechnet. Denn ein Mittelwelle-Sender produziert nicht nur Radiowellen – sondern auch eine ganze Menge Wärme, erklärt Matthias Böhme von der Betreiberfirma Media-Broadcast.

“Wenn wir ihn jetzt einschalten wollen, dann müsste man dann Schritt für Schritt die einzelnen Knöpfe drücken: Also Pumpe einschalten, Heizung einschalten an der Röhre, dann muss eine gewisse Zeit die Röhre vorgeheizt werden. Dann muss man die Röhrenspannung nacheinander einschalten. Ja, und wenn dann im Prinzip alles fertig ist, dann läuft der Sender und erzeugt seine Leistung.”

Erst 1999, nach 60 Jahren Betrieb, wurde der Sender abgeschaltet und durch einen modernen Transistor-Mittelwelle-Sender ein paar hundert Meter entfernt ersetzt.

“Da haben wir im mittleren Schrank das Herz des Senders. Das ist der so genannte Steuersender. Hier findet die gesamte Signalaufbereitung statt.”

Hier entsteht also das eigentliche Mittelwelle-Signal – das man theoretisch auch jetzt schon mit einem Radio empfangen könnte. Allerdings nur ganz in der Nähe. Denn erst im nächsten Schrank direkt nebenan wird das Signal auf ein Vielfaches der Leistung verstärkt, bevor es dann über die Antenne in die Umgebung ausgestrahlt wird.

Durch die besondere Länge der Mittelwellen können sich die Funk-Signale erheblich weiter ausbreiten als beispielsweise Signale von UKW-Sendern. So lässt sich deshalb mit weniger Mittelwelle-Funkmasten das gleiche Gebiet versorgen. Die Wellenlänge ist dabei Fluch und Segen zugleich. Denn das Mittelwelle-Signal ist deshalb auch erheblich anfälliger für Störungen. Zum einen stört sich das Signal selbst, da es von der Erdatmosphäre reflektiert wird und so die gleichen Funksignale teilweise zweimal leicht verzögert beim Empfänger auf der Antenne eintreffen. Zum anderen arbeiten im gleichen Frequenzbereich auch elektrische Geräte: Netzteile, Computer, Fernseher und Elektromotoren, erklärt Ulrich Liebenow, Betriebsdirektor beim Mitteldeutschen Rundfunk.

“Und dieses so genannte ‚Man made noise‘, also dieser durch Menschen produzierte Störungsnebel beeinflusst also die Mittelwelle zusätzlich. Und sie ist halt nicht so robust wie die anderen Übertragungsverfahren, wie zum Beispiel UKW.”

Doch solche Klänge sind wohl bald Geschichte. Der MDR hat jedenfalls in der vergangenen Woche die Mittelwelle-Ausstrahlung von den drei verbliebenen Sendern komplett eingestellt. Die anderen ARD-Wellen und das DeutschlandRadio werden früher oder später folgen. Das hat die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten “KEF” beschlossen, die über die Höhe und Verwendung der Gelder aus dem Rundfunkbeitrag wacht, erklärt MDR-Betriebsdirektor Liebenow.

“Die Mittelwellen-Versorgung ist vergleichsweise teuer. Einfach aufgrund der alten Technologie und des hohen Stromverbrauchs und der hohen Masten die man dafür braucht ist das eine sehr teure Übertragung. Und wir haben daneben ja inzwischen weitere Verbreitungswege.”

Immerhin: Beim Westdeutschen Rundfunk bekommt die Mittelwelle noch eine Art Gnadenfrist. Weil die automatischen Verkehrsnachrichten über das Programm WDR VERA von Autofahrern und Truckern vergleichsweise oft gehört werden, dürfen die Sender in Velbert-Langenberg und auf dem Venusberg in Bonn vorerst weiter senden. Zwar wird VERA auch schon jetzt zeitgleich über das Digitalradio DAB-Plus ausgestrahlt. Doch haben bisher nur wenige Autos ein passendes Digitalradio an Bord, erklärt Britta Frielingsdorf aus der WDR-Programmdirektion Hörfunk.

“Wenn sich die Verbreitung von Digitalradio gerade in Autos deutlich verbessert, dann würden wir entscheiden, die Mittelwelle abzuschalten. Und wenn wir aus Wirtschaftlichkeitsgründen an der einen und der anderen Stelle sparen müssen, dann steht natürlich auch die Mittelwelle-Ausstrahlung wie bei anderen Sendern, die sich ja jetzt schon dafür entschieden haben, zur Disposition.”

Aber vielleicht gibt es auch langfristig noch Hoffnung für die Mittelwelle. Denn auch für die vermeintlich veralteten Mittel-, Kurz- und Langwellenfrequenzen gibt es inzwischen einen Digitalradio-Standard, das so genannte „Digital Radio Mondial“ oder kurz DRM. Bei DRM werden die Radiosignale in kleine Datenpakete verpackt und mit besonders effektiven Techniken stark komprimiert, so dass die Tonqualität etwa mit der von einem ordentlichen UKW-Signal vergleichbar ist. Die üblichen Mittelwelle-Störungen werden mit einem Trick ausgeglichen, erklärt Olaf Korte vom Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen in Erlangen, das den digitalen Mittelwelle-Standard mit entwickelt hat.

“Also im Prinzip funktioniert es so, dass ich zusätzlich zu übertragenden Daten noch zusätzliche Schutzdaten übertrage. Fehlerkorrektur-Daten. Das heißt: Eigentlich muss ich erst einmal mehr übertragen als das was ich eigentlich nutzen will. Aber dadurch, dass ich mehr habe, darf auch ein bisschen was ausfallen und wegfallen.”

Eigentlich ist der DRM-Standard schon seit rund 10 Jahren fertig – doch wirklich durchgesetzt hat sich die digitale Mittelwelle bisher nicht. Kein Wunder: Denn es gibt bisher überhaupt nur eine Handvoll Empfänger, die den Standard unterstützen, und auch nur wenige Radiostationen, die ihr Programm über Mittel- Kurz- oder Langwelle digital abgestrahlt haben. Doch das könnte sich wohlmöglich bald ändern. Denn Indien will bei der Digitalisierung seines Radiosystems auf den DRM-Standard und die digitale Mittelwelle setzen, erklärt Korte.

“Man baut dort aktuell bereits die Senderinfrastrukturen auf. Und das interessante an diesen Massenmärkten ist natürlich auch, dass damit auch die für den Durchbruch so wichtigen preiswerten Empfänger kommen werden. Wenn ich einen Massenmarkt habe, mit so vielen Einwohnern wie das jetzt in Indien der Fall ist, dann kann man darüber ganz schnell auch diesen Markt ankurbeln und bekommt auch entsprechend viele Empfänger-Hersteller dazu, Geräte dafür zu liefern.”

In Deutschland steht es dagegen eher schlecht um die Zukunft der Mittelwelle: Die ARD und einige große, private Hörfunksender haben sich längst für den Digitalradio-Standard DAB-Plus entschieden, und ein fast flächendeckendes Netz aufgebaut. Für einen weiteren Digitalradio-Standard gibt es hierzulande deshalb zumindest vorerst kaum Bedarf.